Spielbare Mutterfiguren sind in Videospielen erfahrungsgemäß rar, das zeigt nicht nur der Artikel “Videospiele haben nach wie vor ein Problem mit Mutterfiguren“ der Vice aus dem Jahr 2017. Im Gegensatz dazu finden wir Vaterfiguren in Spielen wie „God of War“, „Heavy Rain“, „Red Dead Redemption“, „The Walking Dead“ oder „Last of Us“.
Betrachtet man die Ergebnisse der Studie „Mom’s got Game“, die Activision Blizzard Media Anfang Mai 2020 veröffentlicht hat, scheint das zunächst unverständlich. Die Studie zeigt: Mütter spielen Videospiele und sind eine wichtige Zielgruppe.
Laut Studie sind unter den Eltern, die Videospiele spielen, 46 Prozent Mütter und 54 Prozent Väter. Mütter nehmen also auch im Vergleich zu den Vätern eine relevante Rolle in der Gaming-Welt ein. Trotzdem scheint für spielbare Mutterfiguren kein Platz zu sein.
Die Kernaussagen der Studie
- Die meisten Mütter sind Gamer: Über zwei Drittel der Mütter berichten, dass sie Videospiele nutzen (entweder Mobil, Tablet, PC oder Konsole).
- Gamer Moms sind „Content-Konsum-Maschinen“: Sie nutzen mehr Entertainment-Angebote und soziale Medien als Nicht-Gamer-Moms.
- Gamer Moms empfinden Entertainment-Angebote für ihr Leben positiv und wichtig.
- Gamer Moms interagieren häufiger mit Produkten und Marken in sozialen Medien und empfehlen diese öfter Freunden und Familie.
Die Kernaussagen sind stark geprägt von der Konsum- und Marktforschung. Wirtschaftliche Interessen spielen bei der Studie also eine Rolle. Das sehe ich zwar kritisch, jedoch erhalten wir Einblicke in eine selten befragte Personengruppe der Gaming-Welt: Mütter.
Das sind die Gamer Moms
Die an der Umfrage teilnehmenden Mütter sind zwischen 25 und 54 Jahre alt und leben mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren in einem Haushalt. Die Mütter werden in zwei Gruppen unterteilt: Gamer Moms und Nicht-Gamer Moms.
Gamer Moms sind Mütter, die mobil, auf dem Tablet, am PC oder an der Konsole Videospiele spielen. Nicht-Gamer Moms spielen nach eigener Aussage keine Videospiele.
Die Mütter kommen zu je (fast-)gleichen Teilen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Es werden 4.002 Gamer Moms und 3.200 Nicht-Gamer Moms in der Auswertung berücksichtigt. Die Daten sind über eine onlinebasierte Umfrage erhoben worden.
Weniger als die Hälfte der Gamer Moms bezeichnen sich als Gamer
Activision Blizzard Media rückt eine in der Gaming-Welt unterrepräsentierte Personengruppe in den Fokus. Und das zu Recht, wie die Ergebnisse zeigen:
- 74 Prozent der Gamer Moms spielen täglich Mobile Games.
- 38 Prozent der Gamer Moms spielen täglich PC-Spiele
- 33 Prozent der Gamer Moms spielen täglich Konsolenspiele
Auch wenn die Nutzung von Mobile Games im Alltag überwiegt, spielt jede dritte Gamer Mom aus der Erhebung täglich am Computer oder an Konsole. Das zeigt eine starke Verankerung von Videospielen im alltäglichen Leben.
Doch nur 48 Prozent der Gamer Moms identifizieren sich als Gamer. Bei Gamer Moms, die mehr als eine Plattform für Videospiele nutzen, sind es 61 Prozent. Betrachtet man das tägliche Nutzungsverhalten der Gamer Moms, ist das erstaunlich. Der Videospielkonsum scheint also allein nicht auszureichen, um sich als Gamer zu bezeichnen. Woran könnte das liegen? Neben der Vermutung, dass vor allem Handyspiele nicht als „klassische“ Games bewertet werden, schießen mir dabei drei Fragen direkt in den Kopf: Möchten Mütter (oder Frauen) vielleicht weniger mit Videospielen in der Öffentlichkeit assoziiert werden? Erschwert eine männlich geprägte Gaming-Community den Zugang? Oder gibt es vielleicht zu wenig Figuren und Stories in Games, mit denen sie sich identifizieren können?
Die Studie kann hier eine gesellschaftliche Diskussion anregen und eventuell eine tieferliegende Problematik aufdecken. Allerdings sind die Ergebnisse auch mit Vorsicht zu genießen. Oft fehlen mir Informationen, um die Qualität der Erhebung besser einzuschätzen.
Kritikpunkte
Drei Dinge fallen mir bei der genauen Betrachtung der Studie „Mom’s got Game“ besonders auf.
Methodik
Eine wissenschaftliche Studie zeichnet sich dadurch aus, dass transparent und detailliert über das Vorgehen und Auswertungsverfahren berichtet wird. Dort erfahren wir die Gründe, warum die Forscher ihre Hypothesen aufstellen und mit welchen Mitteln sie diese testen wollen.
Die Methodik kommt in der Studie „Mom‘s got Game“ aber zu kurz. Wir wissen weder, wie das Auswahlverfahren der Studienteilnehmer aussieht, noch welche statistischen Verfahren genutzt werden. Sind die Teilnehmer unabhängig von Activision Blizzard und zufällig ausgewählt worden? Mit welcher statistischen Methode haben sie die angeführte Signifikanz getestet? Haben sie die Daten für ihre statistischen Berechnungen korrekt erhoben und aufbereitet? Wir wissen es nicht. Wir müssen den Autoren und Analysten schlicht vertrauen.
Kausale Zusammenhänge

Die Autor*innen der Studie präsentieren das Merkmal „Gamer oder Nicht Gamer Mom“ als Ursachen für bestimmte Antworten. Zum Beispiel zur Frage, ob die Mütter leicht einen Zugang zu ihren Kindern finden (Original: „relate to sb.“, freie Übersetzung nach dem Cambridge Dictionary). In der Umfrage sagen 45 Prozent der Gamer Moms den Ergebnissen nach aus, dass sie leicht einen Zugang zu ihren Kindern finden, während es bei den Nicht Gamer Moms 37 Prozent der Befragten sind. Die Autor*innen kommen daraufhin zu dem Schluss: „…the more they game, the more they can relate to their children.”
Es wird also pauschal behauptet, dass Gaming einen positiven Einfluss auf die Mutter-Kind-Beziehung hat. Dabei ist nicht gesagt, ob tatsächlich das Merkmal „Gamer oder Nicht Gamer Mom“ die Ursache für eine starke Verbindung ist. Und selbst, wenn dem so sein sollte: Es könnte daneben auch noch andere Einflüsse geben.
Mir fallen zum Beispiel diese ein: Altersunterschiede zwischen Mutter und Kind, Berufstätigkeit, Familiäre Situation zum Zeitpunkt der Umfrage (Streit, Pubertät, Scheidung, etc.). In der Studie steht nicht, ob diese Überlegungen eingeflossen sind. Auch in den Prozentzahlen ist der Abstand von 45 zu 37 Prozent eher gering, sodass die Relevanz der Aussage in Frage gestellt werden kann.
Kommerzielle Ziele
Bei einer Studie lohnt sich der Blick auf den Auftraggeber. Dadurch können wir oft schon den Kontext der Studie erkennen. „Mom’s got Game“ ist eine Studie von Activision Blizzard Media und der Marktforschungsagentur Alter Agents. Activision Blizzard Media bietet Unternehmen Marketingmöglichkeiten, um ihre Zielgruppen reichweitenstark anzusprechen. So wundert es nicht, dass auch diese Studie kommerzielle Ziele verfolgt. Es liegt nahe, dass ein Media-Unternehmen die eigenen Werbekanäle promoten will. Dadurch besteht ein Interessenkonflikt zwischen wirtschaftlichem Vorhaben und Erkenntnisgewinn. Activision Blizzard Media wird vermutlich nur Studien veröffentlichen, bei der sich Werbung über ihre Kanäle für andere Unternehmen auszahlt. Bei der Interpretation der Ergebnisse dürfen wir das nicht vergessen.
Deswegen wäre es schön, wenn es weitere Studien und vor allem unabhängige Forschung zu diesem Thema geben würde. Schreibt mir gerne in die Kommentare, wenn ihr welche kennt.
Den vollständigen Report habe ich mir übrigens über die Webseite von Activion Blizzard Media durch Angabe von Name und Unternehmen kostenfrei per E-Mail zusenden lassen.
Hinweis: Die im Beitrag erwähnten oder verlinkten Spiele empfehle ich auf Basis meiner Recherche. Ich erhalte keine finanziellen oder wirtschaftlichen Vorteile durch die Nennung dieser Spiele oder Unternehmen.
Quellen:
- Mom’s Got Game., Activision Blizzard Media, (2020). https://www.activisionblizzardmedia.com/gamermoms (Letzter Abruf: 25.05.2020)
- Videospiele haben nach wie vor ein Problem mit Mutterfiguren, Ludwig, Lisa. (2017). https://www.vice.com/de/article/ywmxqv/videospiele-haben-nach-wie-vor-ein-problem-mit-mutterfiguren (Letzter Abruf: 25.05.2020)
Dass es nicht sehr viele (Haupt)Charaktere gibt, die Mütter sind oder eine mütterliche Rolle einnehmen ist nicht sehr verwunderlich, da es allgemein in Videospielen immernoch recht wenig weibliche Protagonisten gibt. Und die weiblichen Protagonisten, die es gibt, sind entweder zu jung, um Mutter zu sein bzw. jünger als das Durchschnittsalter für Erstgebährende (29) oder die Mutterrolle wäre mit ihrem abenteuerlichen Lebensstil nicht vereinbar. Außerdem: Nicht jede Frau möchte Mutter sein. Mir fallen aber durchaus spontan einige Spiele ein, wo eine Mutter-Kind-Beziehung durchaus eine Rolle spielt, wie beispielsweise in Horizon Zero Dawn (wo nicht nur das Rätsel um die Mutter der Protagonistin zentral für die Storyline ist, sondern sogar ein ganzer Kult um eine Muttergottheit exisitert), Bayonetta oder Gears of War 5. Braucht es mehr davon? Vielleicht. Andererseits… Ich würde in Frage stellen, ob „Mütter“ tatsächlich als Zielgruppe existieren. Eine Mutter ist ja nicht nur Mutter, sondern ein ganz „normaler“ Mensch mit verschiedenen Interessen und Vorlieben, der sich entsprechend von verschiedenen Aspekten eines Games angesprochen fühlt (Genre, Spielprinzip, Story, etc.). Mehr noch: Beim Zocken geht es ja auch darum, der realen Welt zu entfliehen und in andere Rollen schlüpfen zu können. Wenn ich den ganzen Tag mit Kochen und Kinderbetreuung beschäftigt bin, will ich dann abends virtuelle Windeln wechseln oder doch lieber Terroristen jagen und Dämonen zur Strecke bringen? Das Spielangebot darf gerne ein wenig „weiblicher“ werden. Aber wenn Entwickler glauben, das zu erreichen, indem sie ihren Protagonisten ein Baby auf den Rücken schnallen, haben sie ihre Hausaufgaben schlecht gemacht.
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Hallo Kate,
vielen Dank für deinen Kommentar! Ich kann viele deiner Punkte nachvollziehen. Ich finde auch, es sollte weniger darum gehen, Klischees zu produzieren, sondern mehr Diversität in Spielen und Charakteren zu schaffen. Und das betrifft aus meiner Sicht auch noch andere Bereiche als die Mutterfiguren in Games.
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